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Amerika Rot und Blau: Ein gespaltenes Land

Foto: flickr / Pulpolux !!!

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25. November 2010
Von Anna Milena Jurca
Von Anna Milena Jurca

Die politische Diskussion in den USA ist so polarisiert wie lange nicht. Sichtbarstes Zeichen ist die Tea-Party-Bewegung mit ihren fiskalpolitisch konservativen Überzeugungen („small government“), die das republikanische Establishment von rechts herausfordert. Ihr rechtskonservativer Aktivismus ist die neueste Pointe in einer langen Geschichte ideologischer Bruchlinien, die bei den amerikanischen mid-term elections im Thema Wirtschaft zusammenlaufen. Diese Entwicklung ist nichts Neues. Die Einkommensungleichheit korrelierte schon in den letzten Jahrzehnten stark mit der politischen Polarisierung des Landes: Je weiter die Einkommensschere sich öffnete, desto weiter drängten Parteien und Wähler an die Ränder des politischen Spektrums. Wohlhabende Wählergruppen tendieren zu den Republikanern, während einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen, unter ihnen auch Minderheiten und Einwanderer, traditionell demokratische Wirtschaftspolitik befürworten.

Beim Thema Wirtschaft prallen die unterschiedlichen Vorstellungen aufeinander: Die Tea Party hat ihre Basis in der Überzeugung, dass die Regierung ihre Finger zu tief im ökonomischen Spiel und in den Taschen der Amerikaner hat. In ihrer Diskussion beruft sie sich auf „uramerikansiche“ (konservative) Werte wie Individualrechte und hat ein skeptisches Auge auf alles, was aus Washington kommt. Ihre Popularität (ca. 18  Prozent der Wähler unterstützen die Tea Party) hat einen Rechtsruck in der republikanischen Partei verursacht - und auf der anderen Seite des Spektrums eine Gegenbewegung gegen die sozialfeindlichen Unkenrufe von rechts.

Doch tatsächlich ist die Polarisierung nicht nur der Wahlkampfrhetorik geschuldet, sondern wird durch drei strukturelle Faktoren verstärkt: Ein alteingesessenes Zwei-Parteien-System, die auf Meinung statt auf Information setzende Medienlandschaft sowie die Grenzziehung in den Wahldistrikten.

Das amerikanische Zwei-Parteien-System teilt die Landkarte in rote (republikanische) und blaue (demokratische) Flächen auf – und zwar schon vor der Wahl: Die Mehrheit der zur Wahl stehenden Sitze im Repräsentantenhaus und im Senat stehen mit großer Wahrscheinlichkeit bereits fest. Unabhängige Kandidaten haben minimale Siegeschancen. Paradox ist diese Situation, weil sich zwischen 22 und 35 Prozent der Amerikaner als „moderat“ bzw. „unabhängig“ bezeichnen. Bislang repräsentiert aber keine Partei dieses Zentrum, vielmehr kämpfen die moderaten Flügel beider Parteien um Wählerstimmen aus dem unabhängigen Milieu. Mehrere von der Tea Party unterstützte Kandidaten werden wahrscheinlich einen Sitz im Repräsentantenhaus erringen. Ihre Präsenz hat Einfluss auf die republikanischen Abgeordneten: Diese werden stärker unter Druck stehen, ihre Wahlversprechen (Senkung von Steuern und Staatsausgaben, Widerrufung der Finanzreform und der Gesundheitsreform) einzuhalten. Die Kongressabgeordneten sind im ständigen Wahlkampfmodus, da aller zwei Jahre gewählt wird. Die politische Kultur ist also von der Suche nach Konfrontation statt Kooperation geprägt.

Auch die Medienlandschaft verstärkt die gesellschaftliche Polarisierung: Meinung statt Information steht im Vordergrund. CNN als unabhängiger Nachrichtensender wird zwischen den rechten und linken Meinungsmachern FOX News und MSNBC aufgerieben. Mit der „Restoring Honor“-Rally des rechten Extrempopulisten Glenn Beck (FOX News) im August 2010 wurde eine neue Grenze überschritten: Inzwischen betreten Medienleute selber die politische Bühne und mobilisieren aufgrund ihres Starfaktors das eigene Millionenpublikum. Auch Jon Stewart und Steve Colbert (Comedy Central) werden am 30. Oktober Zehntausende auf die Washingtoner Mall zur „Rally to Restore Sanity“ rufen – diesmal aus dem links-liberalen Milieu.

Der dritte strukturelle Faktor, der die Polarisierung Amerikas befördert, ist unter dem Begriff „gerrymandering“ bekannt: Alle 10 Jahre – 2011 wieder – werden aufgrund der Bevölkerungsstatistiken, die mit dem Zensus erhoben wurden, die Grenzen der Wahldistrikte neu gezogen. Die Grenzziehung liegt in der Hand der Partei, die die Gesetzgebung des jeweiligen Staates kontrolliert. So werden die Wahlkreise auf immer parteiischere Weise gezogen, wodurch in einzelnen Wahlkreisen jeweils eine der beiden Parteien eine sehr komfortable Mehrheit hat.

Die mid-term elections sind daher die wichtigsten Wahlen der nächsten 10 Jahre: Sie werden nicht nur die Mehrheitsverhältnissen in den beiden Kongresskammern – und damit Präsident Obamas Handlungsspielraum in einem gespaltenen Land – bestimmen, sondern auch die Wahlbezirksgrenzen und damit nicht zuletzt die Präsidentschaftswahlen 2012.

Dossier

U.S. Midterm Elections 2010 - Amerika hat gewählt

Am 02. November fanden in den USA die sogenannte Midterm Elections statt. Die Ergebnisse aller drei Wahlen werden in nicht unerheblichem Maß die Politik des Weißen Hauses in den kommenden Jahren beeinflussen. In unserem Dossier finden Sie aktuelle Analysen und Hintergrundinformationen.